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Author | |
Editor(s) | Fruehwirth, Timo; Mayer, Sandra |
Publisher | Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Vienna 2027 |
Licence(s) |
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Source Information |
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Origin |
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15\B969|4
25-8-1972
Herrn Bundeskanzler
Dr.Bruno Kreisky
119O Wien
Armbrustergasse 15
Sehr verehrter Herr Bundeskanzler!
Obwohl Sie mir immer mit fdem grössten Verständnis
und jeglicher Art von Hilfsbereitschaft entgegengekommen
sind, habe ich nach Möglichkeit vermieden, mich in all den
öffentlichen und privaten Auseinandersetzungen, in die ich
seit meiner Rückkehr nach Wien verwickelt wurde, an Sie
zu wenden.
Darf ich es heute im Falle eines anderen, mir bekannten
Schriftstellers tun. Es scheint, dass durch das ungeschickte
Verhalten der Steuerbehörden ein Manna aus Österreich hinaus-
geekelt zu werden droht, dessen wiederholte Anwesenheit unserem
Land zur Ehre gereicht : W.H.Auden, neben Ezra Pound der be-
deutendste lebende Lyriker in englischer Sprache und ein
präsumtiver Nobelpreisträger.
Es fällt mir schwer, Sie zu bitten, sehr verehrter Herr
Bundeskanzler, sich die Zeit zu nehmen, die beiliegende Er-
klärung W.H.Audens zu lesen. Aber ich meine, Sie sollten es
tun. Er wehrt sich darin gegen eine Besteuerung in Österreich
mit wirklich einleuchtenden Gründen. Ich wäre Ihnen sehr
dankbar, wenn Sie sich der Sache dem Finanzministerium gegen-
über annehmen könnten.
Mit aufrichtigen Empfehlungen,
Ihre
15\B870\15-Beil.
Erklärung
Mein Standpunkt ist sehr einfach : Man bezahlt dort
Einkommensteuer, wo man Geld verdient, das[] heisst in meinem
Fall, als Schriftsteller, der englisch schreibt, in den
Vereinigten Staaten und in England. In Österreich verdiene
ich keinen Groschen, ich gebe lediglich Schillinge aus.
Sie behaupten, ich hätte ein 'materielles Interesse' an
Österreich, womit Sie vermutlich ein 'finanzielles' Interesse
meinen. Das könnte nur dann möglicherweise richtig sein,wenn
ich mir sagen müsste :'Ich muss nach Österreich gehen, weil
ich nur in Österreich arbeiten kann'. Das ist aber nicht der
Fall. Ich habe an vielen Orten und in den verschiedensrten
Ländern fgelebt, und war imstande, zu arbeiten, wo immer
ich auch war.
Ich habe natürlich ein 'persönliches' Interesse an
Österreich,sonst käme ich nicht hierher. Mir gefällt die Land-
schaft und ich finde die Österreicher, die ich kennen lerne,
freundlich und charmant.
Sie sagen wahrheitsgemäss, dass ich einmal einen österrei-
chischen Literaturpreis erhalten habe. Das war eine grosse
Ehre, auf die ich sehr stolz bin. Aber Sie können doch nicht
ernstlich glauben, meine Herren, dass ich mir ausgerechnet
habe :'Wenn ich weiter nach Österreich gehe, wird mir vielleicht
ein Preis verliehen werden'? Bevor er mir zuerkannt wurde,hatte
ich noch nie von diesem Preis gehört. Es ist auch klar,dass
ich ihn kein zweites Mal erhalten kann. Dann sagen Sie auch,
dass man in Kirchstetten eine Strasse nach mir Audenstrasse
genannt hat. Das war eine sehr liebenswrürdige Geste von Seiten
der Gemeinde, aber man kann nicht behaupten, dass ich finanziell
Nutzen daraus ziehe.
Sie sagen ferner wahrheitsgemäss, dass ich einige Gedichte
mit österreichischer Thematik geschrieben habe. Dazu möchte
ich drei Feststellungen machen:
1. Ich habe in Österreich niemals auch nur einen Penny für
meine Gedichte erhalten. Ein paar von ihnen wurden ins
Deutsche übersetzt, aber in diesem Fall bekamen die
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Übersetzer das Geld, nicht ich.
2. Ich glaube, Sie sind sich nicht im Klaren darüber, wie
Gedichte ents[]te[]hen. Was gewöhnlich für das Thema gehalten
wird, ist nur ein Blickwinkel, ein Anlass, um gewissen
Gedanken über die Natur, über Gott, die Geschichte, die
Menschheit usw., die der Dichter schon sehr lange im Kopf
gehabt haben mag, Ausdruck zu verleihen. Ich habe zum
Beispiel ein Gedicht zum 2O.Todestag von Josef Weinheber
geschrieben. Aber das Gedicht handelt im Grunde von anderen
Dingen : erstens[] von der Liebe, die jeder gute Dichter,
welcher Nationalität er auch sei, zu seiner Muttersprache
hegt, und zweitens davon, was nach dem Krieg in den Ländern
geschehen ist, die ihn verloren haben, dass heisst, nicht
nur in Österreich, sondern auch in Deutschland und Italien.
1964 wiederum habe ich ein Gedicht mit dem Titel 'Pfingst.-
sonntag in Kirchstetten' geschrieben, weil ich mich zu-
fällig dort aufhielt. Aber der Ort ist unwichtig. In Wahr-
heit geht es in diesem Gedicht um die Frage : Worin besteht
für einen Christen die Bedeutung des Pentevcost-Festes?
Und dies gilt für alle Länder auf gleiche Art.
3. Ich glaube, Sie sind sich nicht im Klaren über die finan-
zielle Situation eines Dichters. Ein Romanschriftsteller
kann, wenn er erfolgreich ist, mit seinen Büchern eine
Menge Geld verdienen. Ein Lyriker kann das nicht, selbst
wenn er sehr bekannt ist, denn Gedichte werden nur von
einer Minderheit gelesen. So stammt der weitaus grösste
Teil meines Einkommens nicht aus dem Verkauf meiner Ge-
dichtbände, sondern aus Buchrezensionen, Übeersetzungen,
Vorträgen usw., Tätigkeiten, die mit Ödsterreich nichts zu
tun haben. Und wenn schon vom Übersetzen die Rede ist :
Sie sagen wahrheitsgemäss, dass ich ein grosses Interesse
an deutscher und österreichischer Literatur habe - ich
darf hinzufügen, auch an der Musik - , aber ich muss nicht
nach Österreich kommen, um sie zu lesen oder zu hören.
Sie fragen schliesslich, weshalb ich die Hälfte meines
Besitzes in Kirchstetten an Mr.Chester Kallmann überschrieben
habe, der ja nicht mit mir verwandt ist. Mr Kallman ist mein
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Erbe. Ich habe keine Kinder und er ist seit Jahren mein litera-
rischer Mitarbeiter. Wir haben gemeinsam fünf neue Opernklibretti
verfasst, 'The Rake's Progress' (Weg eines Wüstlings), 'Elegy
for Young Lovers' (Elegie für junge Liebende), 'The Bassarids'
(Die Bassariden) und 'Love's Labours Lost' (Verlorene Liebes-
müh'). Und wir haben gemeinsam 'Die Zauberflöte', 'Don Gio-
vanni', 'Die sieben Todsünden', 'Mahagonny' und 'Archifanfaro'
neu ins Englische übersetzt. Ich bin jetzt fünfundsechzig Jahre
alt und muss mit jeder Möglichkeit rechnen, etwa mit einem
Herzanfall. Wie Sie selbst besser wissden als ich, ergeben sich
im Falle eines plötzlichen Ablebens grosse Schwierigkeiten
für den Erben von Grundbesitz, besonders in einem fremden
Land.
Sie sehen aus all dem, dass die von Ihnen angeführten
Gründe, aus denen Sie mich besteuern wollen, nicht stichhaltig
sind. Am meisten aber spricht dagegen, dass ich im Laufe eines
Jahres immer weniger als sedchs Monate in Österreich verbringe
udnd mich niemals auch nur drei Monate lang laufend hier
aufhalte.
Ein Wort zum Schluss. Wenn dieser für mein Gefühl völlig
ungerechtfertigte Unsinn nicht aufhört, werde ich Österreich
verlassen, um nie wiederzukehren, waws für mich und vielleicht
auch für die Ladenbesitzer von Kirchstetten sehr traurig
wäre. Eines aber kann ich Ihnen nicht verhehlen, meine Herren :
sollte dies eintereten, dann könnte es veinen weltweiten Skandal
nach sich ziehen.
W.H.Auden
Audenstrasse | Auden-AstStrasse | road in Kirchstetten had been named after him
In his W. H. Auden: A Biography, Humphrey Carpenter records that the Hinterholz lane, where Auden's house was located, was renamed "Audenstraße"; but that Auden continued to give his address as "Hinterholz 6" (448). The map of the Austrian Federal Office of Metrology and Surveying uses "Hinterholz" as the only official name.
- Humphrey Carpenter
- W. H. Auden: A Biography
- George Allen & Unwin
- London
- 1981
- 0-04-928044-9
- 448-448
External Evidence: ph_034